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Social Distancing — Fluch oder Segen?

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Social Distancing – Fluch oder Segen?

Freunde und Klienten erwähnen mittlerweile immer häufiger das Wort „Social Distancing“.

Dieses Wort, ähnlich wie Quarantäne, Isolation, wirtschaftliche Rezession etc. macht erst einmal Angst.

Wir stellen uns vielleicht vor, wie wir, und unsere Kinder, uns immer mehr von der Gemeinschaft entfremden, uns auseinander leben, kein miteinander mehr pflegen und den Umgang miteinander verlernen.

Es stellt sich aber die Frage, ob wir, zumindest hier in Deutschland, vor der Coronakrise wirklich so viel gemeinsames Leben hatten, soviel miteinander und echtes Interesse an anderen Menschen.

War es nicht häufig eher so, dass wir gehetzt waren, gestresst von der Arbeit, den sozialen Verpflichtungen, den Verabredungen, dem Überangebot an Unterhaltungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des häuslichen Umfeldes?

Haben wir „die anderen“ wirklich wahr genommen oder haben wir nicht eher aneinander vorbei gelebt?

Und welche Werte haben vor der Krise für uns gezählt? War es wirklich die Gemeinschaft, das Miteinander, oder war es eher das unterhalten werden, der Konsum auch im sozialen Bereich.

Interessanterweise erzählen Klienten von Geschwistern, die wieder miteinander spielen, sich Spiele ausdenken und ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Sie erzählen von Kindern, die ihr geliebtes Hobby zwar gerade nicht haben, aber dadurch, dass sie nicht entscheiden müssen, hin zu gehen oder nicht, sind sie entlastet und können die Freizeit genießen. Auch gibt es Musikschüler, die durch das flexiblere Lernen wie per Skype, auf einmal immense Fortschritte machen.

Natürlich gibt es auch Kinder und Erwachsene, die ihre Freunde vermissen, sich nach ihrem Verein, dem Austausch und der Gemeinschaft sehnen. Gerade für junge Leute ist es sicher nicht einfach, keine Gleichaltrigen mehr zu treffen, um sich mit ihnen zu messen.

Aber insgesamt stellt sich hier, wie bei vielen anderen auch, die Frage, inwieweit das „Social Distancing“ nicht ein Augenöffner ist. Ein Augenöffner dafür, was wirklich zählt.

Ist es vielleicht wie bei vielem anderen nicht die Quantität, sondern die Qualität?

Ist ein ernsthaft geführtes Telefonat mit echtem Interesse nicht gewinnbringender als ein stundenlanges Treffen ohne wirkliches Zuhören?

Ist ein Spiel für ein Kind nicht vielleicht erleichternder, wenn es gar nicht so viele Wahlmöglichkeiten der Beschäftigung hat?

Waren wir nicht alle vielleicht ein bisschen übersättigt?

Übersättigt von Angeboten, Erwartungen und eigenen Vorstellungen?

Ist das „Social Distancing“ vielleicht nur eine Entschlackungskur für unser Miteinander, aus dem wir gestärkt hervorgehen und uns unseren Raum nehmen können, in gesundem Abstand zum anderen und doch in einer Gemeinschaft?

Wird auch hier vielleicht etwas gerade gerückt, was vorher „ver – rückt“ war?

Zeigen kann es letztendlich nur die Zeit.

Aber vielleicht ist diese (erzwungene) soziale Isolation für viele nur eine von außen herbeigeführte Kontemplation, aus der wir gestärkt mit Leib und Seele hervorgehen und einen sicheren (Ab-) Stand für uns in unserem Umfeld finden.